Twelve Days to London
Tag 10 - Die Schlacht um London hat begonnen

Tag 10 - Die Schlacht um London hat begonnen

1883, Jul 14    

Die Meldungen des Tages: +++ Straßenkämpfe in Hackney +++ Royal Army räumt südliches Themseufer. +++ Mallingham strikes again: Reitergeneral erringt dritten Sieg in 5 Tagen. +++ Invasionsarmee aus Kent nur noch 20 km von London entfernt. +++

Der Krieg erreicht die Hauptstadt

Global Examiner, New York, 15. Juli

Aus London berichtet unser Korrespondent Robert Woolworth.

Die Millionenmetropole an der Themse ist auch heute wieder ein Ort der Kontraste. Am Vormittag spricht sicht sich im Süden der Stadt die Nachricht herum, daß sich die Royal Army auf das Nordufer der Themse zurück zieht, und ab 2 Uhr Nachmittag damit beginnen wird, alle Brücken zu sprengen. Die Reaktion der Bevölkerung: Blanke Panik! Scheinbar hunderttausende Londoner raffen eilig ihr Hab und Gut zusammen. Auf den Straßen spielen sich tumultartige Szenen ab. Die Straßen Richtung Westen und Süden sind alle verstopft. Ich selbst muss erleben, wie auf der Waterloo Bridge eine Massenpanik ausbricht. Zahlreiche Menschen stürzen in den Fluß, ich werde fast zu tode getrampelt. Weiter westlich, bei den Kensington Garden läuft der Flüchtlingsstrom dann vorbei an den noch immer zahlreichen Flaneuren, die hier trotz der inzwischen deutlich vernehmbaren Kanonenschüsse im Osten der Stadt mit demonstrativer Gelassenheit den milden Sommertag genießen. Eine völlig andere Welt wiederum erlebe ich in Oldford am Victoria Park. Hier ist das Militär in den Straßen und Häusern allgegenwärtig. Ein buntes Gemisch von Soldaten verschiedenster Regimenter läuft hektisch hin und her. Aus östlicher Richtung hallt über Stunden dröhnender Gefechtslärm. Verzweifelte Anwohner, die aus dieser Richtung in Strömen ins Stadtinnere fliehen, berichten von Zerstörung und Verwüstung. Und vielleicht ist das nur ein harmloser Vorgeschmack auf das, was dieser Stadt in den kommenden Tagen und Wochen bevorsteht. Wer Paris in den letzten Tagen der Kommune gesehen hat kann regelrecht erschaudern bei dem Gedanken an das, was da vielleicht noch auf die armen Bewohner von London zukommt.

Aus dem freien Kent

Die Woche im Bild, Bern, 15. Juli

unser Auslandskorrespondent Rudolf Sternberg berichtet.

Der Krieg hier in Kent scheint vorüber zu sein. Nachdem Angehörige der hiesigen Lokalmiliz gestern Folkestone verlassen vorgefunden haben, konnte ich einen kleinen Ausflug dorthin unternehmen und mich bei den Einwohnern, die seit Beginn der Landung mit einer französischen Besatzung leben mußten, nach ihrer Stimmung erkundigen. Mein Besuch in der kleinen Hafenstadt war mit einer großen Überraschung verbunden. Ich hatte einen vom Krieg deutlich gezeichneten Ort mit zerstörten Wohnhäusern, geplünderten Geschäften und von Soldaten hinterlassener Ausrüstung erwartet. Aber nichts davon. Die Garnison, die offenbar aus Angehörigen der siebten französischen Kavalleriedivision bestand, die von dem legendären Comte de la Fere kommandiert wird, machte dem ruhmreichen Namen ihres Kommandeurs alle Ehre. Geschäftsinhaber vor Ort berichteten, daß über alle requirierten Güter peinlich genau Buch geführt wurde und zudem die Soldaten eine außergewöhnliche Disziplin an den Tag legten. Ein wenig unfreiwillige Bewunderung schwang etwa im ortsansässigen Prothesenhändler mit, der mir zugestand, er habe zwar schon öfters mit Soldaten zu tun gehabt, sei aber noch nie so respektvoll behandelt worden, wie in den zurückliegenden Tagen. Die Soldaten hätten sich sogar bemüht, einzelne Häuser, die bei Anfangsgefechten beschädigt worden waren, wieder instand zu setzen. Bei ihrem Abzug ließen sie dann, abgesehen von Patronenhülsen und einigen leeren Vorratskisten praktisch nichts zurück - bis auf den Weinvorrat des kommandierenden Offiziers; diesen übergab er persönlich dem Bürgermeister als Entschädigung für entstandene Schäden. Insgesamt hat mich mein Besuch in Folkestone in nicht geringes Erstaunen versetzt, scheint es doch, als würden die Franzosen bewußt versuchen, die Auswirkung des Krieges auf die Zivilbevölkerung gering zu halten. Ähnliches, wenn auch mit deutlich düsterer Note, habe ich inzwischen aus dem ebenfalls befreiten Ramsgate erfahren, wo es zwar zu vereinzelten Übergriffen gekommen sein soll, der Kommandeur der dortigen Division aber mit drakonischen Strafen Weiteres verhindert hat.

Wut

Daily Observer, London, Sonderausgabe am Abend des 15. Juli.

Leser Bartholomew-Alphonse Barkmaster meldet sich zu Wort

Uns erreichte per Boten eine Zuschrift eines unserer Leser, des 89jährigen Bartholomew-Alphonse Barkmaster, ehemals Major im 44th Regiment of Foot. Aufgrund ihrer besonderen Relevanz in der gegenwärtigen Situation drucken wir sie hier im vollständigen Wortlaut ab:

Sir,

auf meine alten Tage verstehe ich die Welt nicht mehr. Von meinem Balkon aus habe ich heute das Treiben in Greenwich beobachtet, und die Stadt ist praktisch menschenleer. Was macht nur unsere militärische Führung? Wo sind die eigenen Truppen? Warum stehen keine Batterien um das Observatorium herum? Stattdessen laute Explosionen, angeblich hat man sich ans Nordufer der Themse zurückgezogen. Was eine Schande! Wieso wird die Verteidigung der südlichen Stadtviertel einfach so aufgegeben, warum wird der Feind nicht verzögert? Mein junger Freund und Kamerad Dapper, mit dem ich zusammen bei Waterloo unter dem großen Wellington kämpfte, steht derzeit mit seinen Männern in und um Blackwall. Ich kann ihm nur das Beste wünschen - und hoffen, daß er sich nicht zu sehr von einer Führung hereinreden läßt, die offenbar panisch darauf bedacht ist, sich selbst in Sicherheit zu bringen. So hört man auch, das Kommando des Armeekorps, das hier südlich der Themse gekämpft hatte, habe sich auf die andere Seite der Themse zurückgezogen und bereite den Abmarsch aus London hervor. Noch so ein Ding der Unmöglichkeit - warum stehen die Herren Generäle nicht mit dem Revolver in der Linken und dem Säbel in der Rechten an der Seite ihrer Männer? Man faßt es nicht.

Mit erregtem Gruß,

B.A. Barkmaster

Die Worte des Veteranen unzähliger Kämpfe haben unsere Redaktion nachdenklich gestimmt, zumal der Kampf um die Stadt anscheinend begonnen hat; aus den östlichen Stadtteilen, insbesondere aus Hackney, war den ganzen Tag heftiger Gefechtslärm zu hören. Wenn der gegenwärtige Konflikt hoffentlich bald diplomatisch gelöst sein wird, dann wird es einen Untersuchungsausschuß geben müssen, der der Frage nachgeht, warum London dem Feind offenbar so ungeschützt überlassen wurde.