Twelve Days to London
Tag 4 - Englands Schande

Tag 4 - Englands Schande

1883, Jul 08    

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Der Schlächter von Margate

Global Examiner, New York, 8. Juli

Korrespondent Howard Haroldson berichtet aus London.

Aus Margate erreichen mich wahrhaft verstörende Nachrichten. Wieder gebe ich den Bericht im Wortlaut wieder:

Der gestrige Tag sah zunächst einen großartigen Sieg englisch-französischer Waffen in Margate. Von Ramsgate aus war eine französische Division angetreten, um Margate einzunehmen und die vielen Landsleute, die in der Ruine des Gaswerks wie Sardinen eingepfercht sind, zu befreien. Tausende Soldaten stürmten über die Wiesen südöstlich der Stadt - ihrem Verderben entgegen. General de Bates ließ seine verborgen aufgestellte Artillerie erst feuern, als die Franzosen auf Gewehrschußweite heran waren. Die Wirkung des Feuers war fürchterlich; schließlich brachen die Franzosen ihren Angriff ab, die Felder zwischen Margate und Ramsgate sind übersät mit Leichen. Großartiges hat General de Bates in diesem noch jungen Konflikt bereits geleistet, doch seine Handlungen nach der Abwehr des französischen Angriffs haben diesen Tag zum Tag der Schande für die Queen’s Foreign Legion, ja zum Tag der Schande für das gesamte Empire werden lassen! Gegen Abend ließ er eine Abteilung der Legion am Cecil Square antreten, hielt eine flammende Rede, in der er der französischen Regierung auf so blumige Art und Weise den Tod wünschte, wie dies nur südländisches Temperament vermag. Zahlreiche Schaulustige liefen aus den zerstörten Häusern zusammen; zunächst bejubelten sie den Mann, der schon als Held von Margate gefeiert wurde, aber wohl eher als Schlächter von Margate in die Geschichte eingehen wird. Bald aber blieb ihnen ihr Jubel im Halse stecken. De Bates ließ insgesamt 7 gefangene französische Offiziere vorführen, darunter einen schwer verwundeten Brigadekommandeur, der auf einem Stuhl herangetragen wurde. Diese mußten zunächst weitere Beschimpfungen über sich ergehen lassen, dann - horribile dictu - gab de Bates seinen Soldaten den Befehl, die Gefangenen zu erschießen. Anstatt sich diesem Wahnsinn zu verweigern, machten die Soldaten de Bates’ aus dem Ganzen ein makabres Schauspiel - die Offiziere wurden einzeln erschossen, und nach jedem Schuß hallte ein lautes “Vive l’empereur” über den Platz! Die Abscheu über diese schändlichen Ereignisse läßt sich kaum in Worte fassen. Auch wenn die Franzosen im jetzigen Ringen unser Feind sind, so müssen wir uns doch fragen, ob wir angesichts solcher Ereignisse es überhaupt noch verdienen, den Sieg davonzutragen. Die Queen’s Foreign Legion hat Margate gerettet, doch war die Rettung diesen Preis wert? Die Öffentlichkeit der Welt wird über uns richten, und das Urteil wird hart sein. Man kann nur hoffen, daß das englische Oberkommando versuchen wird, künftige Exzesse dieser Art zu unterbinden.

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Französische Erfolge in der Grafschaft Kent

Der Neue Tag, München, 8. Juli.

Aus der französischen Hauptstadt berichtet unser Korrespondent Karl Unterberg.

Paris ist in Aufregung. Erste Nachrichten von der Front in England haben die Hauptstadt erreicht. Die lokalen Zeitungen berichten von großen Erfolgen, die die gelandeten Truppen erzielt hätten. Die meisten Städte Kents seien bereits in französischer Hand, insbesondere die 7e Division de Cavalerie unter General d’Albert habe sich große Verdienste erworben und in einer großen Schlacht vor Folkestone zahlreiche feindliche Verbände zerschlagen. Die eigenen Verluste sollen gering sein, groß ist dagegen die Zuversicht, bald in London zu sein. Der örtlichen Presse darf man natürlich nicht über den Weg trauen, aber auch meine Kontakte in der Armee bestätigen einen bislang offenbar weitgehend reibungslosen Ablauf der Operationen. Einzig Dover scheint immer noch in englischer Hand zu sein, wobei es sich dabei wohl nicht um einen Rückschlag handelt - auf meine Frage, warum die französische Armee denn nicht nach dem Schlüssel für das Königreich, als der Dover ja bekannt ist, gegriffen habe, antwortete mein Kontakt im Kriegsministerium mit einem Lächeln: “Warum nach dem Schlüssel greifen, wenn man die Tür eintreten kann?”. Natürlich erreichen auch andere Nachrichten aus England die französische Hauptstadt, insbesondere der gescheiterte Angriff auf das kleine Städtchen Margate wird auf den Boulevards und in den Cafes heiß diskutiert. Doch während mancherorten nach Konsequenzen im Ministerium gerufen wird, tut es dem patriotischen Optimismus doch insgesamt keinerlei Abbruch. “Wer denkt an Margate, wenn es um London geht?” - diese Schlagzeile eines bekannten Pariser Abendblattes faßt trefflich die derzeitige Stimmung zusammen.

Abgeordneter fordert General de Bates Ablösung

London Times, London, 8. Juli.

Im Oberhaus kam es gestern zu einer hitzigen Diskussion, als der Abgeordnete Lord Charles Elderhampton die sofortige Absetzung von General de Bates forderte. Gegenstimmen von Vertretern beider großer Parteien verteidigten den Exilfranzosen als “Helden von Margate” und argumentieren, der Pressebericht aus Kent stelle die Ereignisse vermutlich nicht richtig dar und versäume es gewiß, die zwingenden Umstände vor Ort korrekt wieder zu geben. “Wann”, entgegnete ihm Elderhampton, “haben wir aufgehört Gentlemen zu sein? Wie sehr verängstigt diese armselige Invasion (wörtlich gebrauchte er die Wendung -pathetic excuse of an invasion-) manche in diesem Land, daß sie solch ehrloses Handeln für gerechtfertigt halten? Und überhaupt, seit wann dulden wir, daß Ausländer ihre internen Händel mit barbarischen Methoden auf unserem Boden austragen?” Das Oberhaus bleibt in der deBates-Frage über die Parteigrenzen hinweg gespalten. Eine schnelle Absetzung des Generals könnte es unter den momentan gegebenen Umständen ohnehin kaum durchsetzen.

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Die Schlacht bei Brighton geht weiter

Die Woche im Bild, Bern, 8. Juli

unser Auslandskorrespondent Rudolf Sternberg berichtet.

Das Spektakel an der Küste von Sussex geht in die nächste Runde. Das im Ferienort Shoreham eingeschlossene Französische Armeekorps sollte heute von einer vereinten Streitmacht aus Brighton Gentlemen Defenders, Marinesoldaten, der 5th Infantry Division und dem 19. Husarenregiment angegriffen werden. “Wir werden sie ins Wasser treiben, wie Hannibal die Römer in den Trasimenischen See” beschrieb Coriolanus Ferryman, Presseoffizier der Brighton Gentlemen Defenders, den Plan seines Kommandeurs. Viele der im Sommer hier zahlreichen Touristen und andere Zivilisten hatten sich schon mit Operngläsern und kleinen Union-Jack-Fähnchen um die Plätze mit der besten Aussicht auf den Hügeln oberhalb Shorehams versammelt, als alles anders kam, als erwartet. Die französische Kavallerie trat mit einer ganzen Division vor dem Ort an, und stürmte die Hügel Richtung Nordosten herauf. Doch auch dort waren Stellungen und Kanonen der Britischen 5. Division, und statt eines patriotischen Spektakels wurden die Zuschauer Zeugen eines unappetitlichen, chaotischen Blutbades. Bald strömten die Franzosen wie geprügelte Hunde zwischen toten und verwundeten Pferden und Kameraden zurück Richtung Shoreham. Doch von Nordosten rückte nun eine weitere Brigade der 5. vor und setzte den fliehenden mit Kugeln und Bajonetten zu. Mehrere Zuschauerinnen brachen bei dem Anblick zusammen und mussten von freiwilligen Helfern des Internationalen Komitees der Hilfsgesellschaften für die Verwundetenpflege versorgt. Die Reste der Französischen Truppen in Sussex sind nun wieder in Shoreham eingekesselt, und haben ihre letzte Hoffnung auf einen Durchbruch vermutlich nach der heutigen Niederlage aufgegeben.